Eines vorab:
Kritik an der Polizei und der Regierung ist erlaubt und Teil unserer
verfassungsmäßigen Rechte. Solange sich die Kritik im Rahmen der Verfassung bewegt,
schützt unsere Verfassung die Meinungs- und Kunstfreiheit.
Es wirft ein schräges
Licht auf die Protagonisten der Debatte, dass ein Lied einer Punk-Band
ausreicht, um plötzlich jede Art von Kritik an der Polizei zu einer Kritik am
„Rechtsstaat“ hochzustilisieren. Genauso ist es mit dem Freiraum. Plötzlich
wird ein Nachbarschaftskonflikt um "Lärm" zur Grundsatzdebatte um
politischen Extremismus überhöht.
Man könnte anstatt dessen darüber diskutieren, warum es Konflikte zwischen „der
Jugend“ und „der Polizei“ gibt. Und in zweiter Linie darum, warum die Kids Zoff
mit „den Nachbarn“ haben.
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Quelle: Freiraum, Dachau
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Dass
ein Lied einer Punk-Band ausreicht, um plötzlich jede Art von Kritik an der
Polizei zu einer Kritik am „Rechtsstaat“ hochzustilisieren ist befremdlich.
Wenn
nun (wie anscheinend so gesagt wurde) versucht wird, die Kritik an „der Polizei“
mit Kritik an „dem Rechtsstaat“ oder gar „am Staat“ gleichzustellen, dann läuft
was aus dem Ruder.
Denn, geht
man einen Schritt weiter, so könnte man das genauso behaupten wenn Gruppen der Zivilgesellschaft bei der Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus dessen Abschaffung fordern. Dann ist diese Kritik solange möglich, solange nicht im gleichen Zuge eine zentralistische Wirtschaftsform gefordert wird. Und es ist auch keine Kritik an „dem Staat“ oder an
„dem Rechtsstaat“ an sich.
Es geht
um die Deutungshoheit eines politischen und gesellschaftlichen Diskurses - einer Rechtsverschiebung
Wollen
wir es tatsächlich zulassen, dass eine politische Posse ausreicht, um eine
(kultur)ideologische Debatte auszulösen? Nein. Weil wir sonst
genau über das Stöckchen springen, das uns diejenigen hinhalten, die seit
Jahren an einer Rechtsverschiebung arbeiten.
Da verunglimpft
ein gerichtlich bestätigter Faschist die deutsche Regierung öffentlich als
Diktatur und droht, die „Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern
finanziert, dann leider trockenlegen zu müssen", so muss uns doch das Blut
gefrieren, wenn örtliche Mandatsträger den für sie unliebsamen
Jugendorganisationen den Geldhahn abdrehen wollen. Und die sogenannte Bürgerliche
Mitte? Scheint zumindest in Teilen nicht abgeneigt zu sein, darüber reden zu
wollen.
Warum
es so gefährlich ist auf diese Scheindebatte um Sabot Noir und dem Freiraum einzugehen?
Die Wallung scheint ein willkommener Anlass zu sein - ein Hebel gewissermaßen -
um an einen viel zerbrechlicheren Kern der Gesellschaft heran zu kommen. Es
geht um die Deutungshoheit eines politischen und gesellschaftlichen Diskurses.
Auf einmal taucht aus dem Hintergrund die Frage auf: Was dürfen Kritik und
Opposition? Und, fast noch wichtiger: Auf Basis welcher politischen Ideologie
"dürfen" Kritik und Opposition zukünftig geäußert werden? Es kommt einem doch gleich die unsägliche Debatte der
Christ-Sozialen um die „Konservative Revolution“ in den Sinn. Die beileibe noch
nicht beendet ist. Oder die Entgleisungen von Wortführern derselben
Partei nach den Demonstrationen zum Polizeiaufgabengesetz.
Woher
der manische Drang der konservativen „Mitte“, progressive, liberale Teile der
Zivilgesellschaft in die „Extreme“ Ecke zu stellen.
Wenn durch
die Rechtsverschiebung, eines schönen Tages, plötzlich von selbsternannten Moralaposteln
vieles was schlicht und einfach „Kritik“ ist als „Kritik am Staat“ ausgelegt
werden kann, dann stellt sich doch gleich die nächste Frage: Wie
weit soll dieses Framing „Extremismus“ gehen? Gerade die Protagonisten, die
sich selbst in der „Mitte“ verorten und allzu gerne den Popanz „das ist Links“ hochhalten,
müssen sich diese Frage gefallen lassen.
Die
konservative "Mitte", besonders in Verbindung mit „bürgerlich“, hat
einen Klebstoff, der alles zusammenhält. Es ist die Ideologie, dass bestimmte
diffuse Werte einen (wie auch immer gearteten) guten Jetzt-Zustand bewahren
sollen. Veränderungen von innen oder von außen sind praktisch ein Angriff auf
den Jetzt-Zustand. Scheinbar ist es die schiere Panik vor Veränderungen, die zu
diesem schon fast manischen Drang der Konservativen führt, progressive,
liberale Teile der Zivilgesellschaft in die „Extrem“ Ecke zu stellen. Gut zu sehen,
wenn es um Reizthemen, wie z.B. Klimapolitik, Verkehr oder soziale Gerechtigkeit
geht.
Wenn
aber plötzlich Hysteriker und rechte Agitatoren Deutschland als Unrechtsstaat
und Diktatur verunglimpfen, rechtsradikale Netzwerke in der Polizei und
Bundeswehr bekannt werden und die liberale Zivilgesellschaft von rechten
Trollen mundtot gemacht wird – also tatsächlich der Staat und Rechtsstaat
angegriffen wird, herrscht in der „Mitte“ viel zu oft das große Schweigen.
Ist
„Mitte“ wirklich so stabil? Die Extreme wählt sich seine Mitte aus.
Im
Reflex zur Relativierung von „Extremismus“ führt das sofort zu der unsäglichen,
überaus vergiftenden "Hufeisendebatte", in der "Rechts"
gleich "Links" gleich „Links-Extrem“ gleichgesetzt wird.
Machen
wir ein Gedankenexperiment. Nehmen wir mal eine vermeintlich "linke"
Position: Alle Menschen haben dieselben Rechte und Freiheiten, Diskriminierung
und Privilegien aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und so weiter gehören
abgeschafft ("linke" steht in Anführungszeichen, weil das das
Grundgesetz meint). Dann nehmen wir mal typisch „rechte Meinungen“. Zum
Beispiel, dass Mitbürger mit bestimmter ethnischer Herkunft, obwohl Deutsche,
nicht „zu uns“ gehören und „zurück“ sollen und dass Homosexualität
"unnatürlich" ist. Da haben wir „links“, Solidarität, plurale
Gesellschaft und liberale Demokratie einerseits. Und „rechts“, Egoismus,
homogene Volksgemeinschaft und autoritären Staat andererseits. Was soll jetzt
die "Mitte" sein? Es gibt dazwischen keine Mitte. Die Extreme wählt
sich seine Mitte aus.
Das
darf gerne als Aufmunterung betrachtet werden mal genau nachzufühlen, ob bei
sich der politische und gesellschaftliche Kompass noch stimmt.
Wir
brauchen Wehrhaftigkeit, um unserer Demokratie zu schützen.
Schiebt
man die Kulissen der Debatte um Sabot Noir und dem Freiraum beiseite, so sieht
man den Elefanten im Raum, das Thema, das nicht angesprochen wird - es ist das
Thema (Anti)faschismus.
Unsere Verfassungsväter und -mütter waren kluge Leute und - damals
selbstverständlich - Antifaschist*innen. Sie wussten, dass antidemokratische
Gewaltherrschaften nicht für immer aus der Welt sind. Deswegen haben sie das
Grundgesetz dagegen gerüstet. Statt Streit, brauchen wir Wehrhaftigkeit, um
unserer Demokratie zu schützen.
Wir
haben eine konkrete Gefahr von rechts, nicht von links. Es ist Zeit, Differenzen
und Streit mal hinten an zu stellen, denn wir brauchen eine Gesellschaft die
unteilbar ist.
Der
Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Claus Leggewie sagt: "Was
man braucht ist eine antifaschistische Einheitsfront, die wirklich von den
Konservativen bis zur Linken geht und die sagt: Das ist die große Gefahr. Wir
haben keine Hufeisentheorie, wo die Gefahr von rechts und links immer
gleichermaßen ist, sondern wir haben hier eine explizite Gefahr von rechts. Und
dagegen muss sich die gesamte Republik einheitlich stellen und dafür auch
bestimmte sonstige Differenzen – die sehr wichtig sind – mal hinten anstellen."
Es wäre nicht das Schlechteste bei Sabot Noir und dem Freiraum den Ball flach
zu halten. Genauso, wie gegenüber den Teilen der Zivilgesellschaft, die sich laut,
vielleicht auch unbequem, gegen die Rechtsverschiebung stemmen.
Es gibt einen
Begriff dafür: Unteilbar.