Dienstag, 11. August 2020

Warum die Aufregung der sogenannten Konservativen über Sabot Noir und dem Freiraum eine Scheindebatte ist und letztlich vom Problem ablenkt.

Eines vorab: Kritik an der Polizei und der Regierung ist erlaubt und Teil unserer verfassungsmäßigen Rechte. Solange sich die Kritik im Rahmen der Verfassung bewegt, schützt unsere Verfassung die Meinungs- und Kunstfreiheit. 

Es wirft ein schräges Licht auf die Protagonisten der Debatte, dass ein Lied einer Punk-Band ausreicht, um plötzlich jede Art von Kritik an der Polizei zu einer Kritik am „Rechtsstaat“ hochzustilisieren. Genauso ist es mit dem Freiraum. Plötzlich wird ein Nachbarschaftskonflikt um "Lärm" zur Grundsatzdebatte um politischen Extremismus überhöht.

Man könnte anstatt dessen darüber diskutieren, warum es Konflikte zwischen „der Jugend“ und „der Polizei“ gibt. Und in zweiter Linie darum, warum die Kids Zoff mit „den Nachbarn“ haben.   

Quelle: Freiraum, Dachau
 

Dass ein Lied einer Punk-Band ausreicht, um plötzlich jede Art von Kritik an der Polizei zu einer Kritik am „Rechtsstaat“ hochzustilisieren ist befremdlich.

Wenn nun (wie anscheinend so gesagt wurde) versucht wird, die Kritik an „der Polizei“ mit Kritik an „dem Rechtsstaat“ oder gar „am Staat“ gleichzustellen, dann läuft was aus dem Ruder.

Denn, geht man einen Schritt weiter, so könnte man das genauso behaupten wenn Gruppen der Zivilgesellschaft bei der Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus dessen Abschaffung fordern. Dann ist diese Kritik solange möglich, solange nicht im gleichen Zuge eine zentralistische Wirtschaftsform gefordert wird. Und es ist auch keine Kritik an „dem Staat“ oder an „dem Rechtsstaat“ an sich.

Es geht um die Deutungshoheit eines politischen und gesellschaftlichen Diskurses - einer Rechtsverschiebung

Wollen wir es tatsächlich zulassen, dass eine politische Posse ausreicht, um eine (kultur)ideologische Debatte auszulösen? Nein. Weil wir sonst genau über das Stöckchen springen, das uns diejenigen hinhalten, die seit Jahren an einer Rechtsverschiebung arbeiten.

Da verunglimpft ein gerichtlich bestätigter Faschist die deutsche Regierung öffentlich als Diktatur und droht, die „Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern finanziert, dann leider trockenlegen zu müssen", so muss uns doch das Blut gefrieren, wenn örtliche Mandatsträger den für sie unliebsamen Jugendorganisationen den Geldhahn abdrehen wollen. Und die sogenannte Bürgerliche Mitte? Scheint zumindest in Teilen nicht abgeneigt zu sein, darüber reden zu wollen.

Warum es so gefährlich ist auf diese Scheindebatte um Sabot Noir und dem Freiraum einzugehen? Die Wallung scheint ein willkommener Anlass zu sein - ein Hebel gewissermaßen - um an einen viel zerbrechlicheren Kern der Gesellschaft heran zu kommen. Es geht um die Deutungshoheit eines politischen und gesellschaftlichen Diskurses. Auf einmal taucht aus dem Hintergrund die Frage auf: Was dürfen Kritik und Opposition? Und, fast noch wichtiger: Auf Basis welcher politischen Ideologie "dürfen" Kritik und Opposition zukünftig geäußert werden? Es kommt einem doch gleich die unsägliche Debatte der Christ-Sozialen um die „Konservative Revolution“ in den Sinn. Die beileibe noch nicht beendet ist. Oder die Entgleisungen von Wortführern derselben Partei nach den Demonstrationen zum Polizeiaufgabengesetz.

Woher der manische Drang der konservativen „Mitte“, progressive, liberale Teile der Zivilgesellschaft in die „Extreme“ Ecke zu stellen.

Wenn durch die Rechtsverschiebung, eines schönen Tages, plötzlich von selbsternannten Moralaposteln vieles was schlicht und einfach „Kritik“ ist als „Kritik am Staat“ ausgelegt werden kann, dann stellt sich doch gleich die nächste Frage: Wie weit soll dieses Framing „Extremismus“ gehen? Gerade die Protagonisten, die sich selbst in der „Mitte“ verorten und allzu gerne den Popanz „das ist Links“ hochhalten, müssen sich diese Frage gefallen lassen.

Die konservative "Mitte", besonders in Verbindung mit „bürgerlich“, hat einen Klebstoff, der alles zusammenhält. Es ist die Ideologie, dass bestimmte diffuse Werte einen (wie auch immer gearteten) guten Jetzt-Zustand bewahren sollen. Veränderungen von innen oder von außen sind praktisch ein Angriff auf den Jetzt-Zustand. Scheinbar ist es die schiere Panik vor Veränderungen, die zu diesem schon fast manischen Drang der Konservativen führt, progressive, liberale Teile der Zivilgesellschaft in die „Extrem“ Ecke zu stellen. Gut zu sehen, wenn es um Reizthemen, wie z.B. Klimapolitik, Verkehr oder soziale Gerechtigkeit geht.

Wenn aber plötzlich Hysteriker und rechte Agitatoren Deutschland als Unrechtsstaat und Diktatur verunglimpfen, rechtsradikale Netzwerke in der Polizei und Bundeswehr bekannt werden und die liberale Zivilgesellschaft von rechten Trollen mundtot gemacht wird – also tatsächlich der Staat und Rechtsstaat angegriffen wird, herrscht in der „Mitte“ viel zu oft das große Schweigen.

Ist „Mitte“ wirklich so stabil? Die Extreme wählt sich seine Mitte aus.

Im Reflex zur Relativierung von „Extremismus“ führt das sofort zu der unsäglichen, überaus vergiftenden "Hufeisendebatte", in der "Rechts" gleich "Links" gleich „Links-Extrem“ gleichgesetzt wird.

Machen wir ein Gedankenexperiment. Nehmen wir mal eine vermeintlich "linke" Position: Alle Menschen haben dieselben Rechte und Freiheiten, Diskriminierung und Privilegien aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und so weiter gehören abgeschafft ("linke" steht in Anführungszeichen, weil das das Grundgesetz meint). Dann nehmen wir mal typisch „rechte Meinungen“. Zum Beispiel, dass Mitbürger mit bestimmter ethnischer Herkunft, obwohl Deutsche, nicht „zu uns“ gehören und „zurück“ sollen und dass Homosexualität "unnatürlich" ist. Da haben wir „links“, Solidarität, plurale Gesellschaft und liberale Demokratie einerseits. Und „rechts“, Egoismus, homogene Volksgemeinschaft und autoritären Staat andererseits. Was soll jetzt die "Mitte" sein? Es gibt dazwischen keine Mitte. Die Extreme wählt sich seine Mitte aus.

Das darf gerne als Aufmunterung betrachtet werden mal genau nachzufühlen, ob bei sich der politische und gesellschaftliche Kompass noch stimmt.

Wir brauchen Wehrhaftigkeit, um unserer Demokratie zu schützen.

Schiebt man die Kulissen der Debatte um Sabot Noir und dem Freiraum beiseite, so sieht man den Elefanten im Raum, das Thema, das nicht angesprochen wird - es ist das Thema (Anti)faschismus.

Unsere Verfassungsväter und -mütter waren kluge Leute und - damals selbstverständlich - Antifaschist*innen. Sie wussten, dass antidemokratische Gewaltherrschaften nicht für immer aus der Welt sind. Deswegen haben sie das Grundgesetz dagegen gerüstet. Statt Streit, brauchen wir Wehrhaftigkeit, um unserer Demokratie zu schützen.

Wir haben eine konkrete Gefahr von rechts, nicht von links. Es ist Zeit, Differenzen und Streit mal hinten an zu stellen, denn wir brauchen eine Gesellschaft die unteilbar ist.

Der Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Claus Leggewie sagt: "Was man braucht ist eine antifaschistische Einheitsfront, die wirklich von den Konservativen bis zur Linken geht und die sagt: Das ist die große Gefahr. Wir haben keine Hufeisentheorie, wo die Gefahr von rechts und links immer gleichermaßen ist, sondern wir haben hier eine explizite Gefahr von rechts. Und dagegen muss sich die gesamte Republik einheitlich stellen und dafür auch bestimmte sonstige Differenzen – die sehr wichtig sind – mal hinten anstellen."

Es wäre nicht das Schlechteste bei Sabot Noir und dem Freiraum den Ball flach zu halten. Genauso, wie gegenüber den Teilen der Zivilgesellschaft, die sich laut, vielleicht auch unbequem, gegen die Rechtsverschiebung stemmen.

Es gibt einen Begriff dafür: Unteilbar.

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