Sonntag, 1. Juni 2008

Herr Ullmann, Herr Forster und ihre Definition des Begriffes Freiraum

Wenn man die SZ und ihren Regionalteil in letzter Zeit aufmerksam gelesen hat, konnte einem eine gewisse Tendenz zur wahllosen Profilierung bei einigen Kommunal- politikern, die bisher inhaltlich eher weniger aufgefallen waren, nicht entgehen.
Zum einen haben wir nun endlich in Dachau einen Stadtratsreferenten für Integration, der in seinem ersten großen Interview zugibt, dass er von der Materie bisher noch nicht die große Ahnung hat und als Argumentationshilfe ständig die Position des Zeitgeschichtsreferenten bemüht (der er vielleicht gerne geworden wäre?)
Der Begriff Integration, um den es hier geht, ist vom lateinischen „integratio“ abgeleitet und beschreibt einen dynamischen, lange andauernden und sehr differenzierten Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens. Dieser Prozess besteht aus Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung. Integration als Vervollständigung eines unvollständigen Ganzen. Dies ist unmöglich ohne eine intensive Beschäftigung mit Kultur als Identifikationsfaktor.
Wenn nun aber derlei Bemühungen nicht von einer Bestrebung nach individuellen Freiräumen, die Personen oder Gruppen zur Entwicklung, Definition und Entfaltung ihrer Identität und Kreativität benötigen, geprägt sind, wird das angestrebte Ergebnis statt Integration schnell Assimilation (völlige Anpassung) sein.
Gilt das nur für Menschen mit Migrationshintergrund oder auch für den kulturellen Dialog zwischen den Generationen?
Als Jugendkultur werden die kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen innerhalb einer gemeinsamen Kulturszene bezeichnet. Der Kern einer Jugendkultur ist die Etablierung einer eigenen Subkultur innerhalb einer bestehenden Kultur der Erwachsenen, da diese den Heranwachsenden keine sie befriedigenden Ausdrucksmöglichkeiten für ihr als neu empfundenes Lebensgefühl anbietet.
Diese Subkulturen bilden den kreativen Bodensatz für einen weiteren kulturellen Integrationsprozess - kulturelles Entwicklungspotential für die Zukunft.
Nun haben wir in Dachau seit neuerem einen Ort, der dafür in sehr konstruktiver Weise tatsächlich Freiraum gibt und kein Problem damit hat, sich seinerseits an Regeln zu halten.
Und ausgerechnet der Integrationsreferent fordert in seinem ersten annähernd inhaltlichen Statement, dem "Freiraum" schleunigst "Zügel anzulegen", sich genau anzusehen, "was für Publikum da aus und ein geht" und die kulturell ambitionierte Einrichtung auf das Niveau eines Jugendtreffs zu reduzieren. Das ist Assimilation in Reinform.
Pikanterweise wird die Argumentation von einem Kollegen im Stadtrat gestützt, der sich in einer anderen Nummer ihres Blattes als ein Vorzeigemodell der revolutionären 68-er Bewegung in einem Atemzug mit dem rührigen und hochinnovativen Kulturpolitiker Haimo Liebich feiern lässt.
Edgar Forster ist nämlich der Ansicht, dass die Stadt da mal einen Sozialarbeiter hinschicken soll und die Entwicklungen unbedingt beobachten muss, weil Jugendliche erfahrungsgemäß mit der Organisation ihrer eigenen Kultur überfordert seien.
Wie drückt Forster seine eigenen 68-er Erfahrungen so treffend aus: "Wir sind aufgestanden und haben gesagt, ihr seid doch elende Heuchler!" Hm!?

Karl-Michael Brand
Kunsterzieher Dachau

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