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„Die Mär vom
Wachstumsstopp“
Stellungnahme des Thementisches Umwelt-Natur-Energie (TT
UNE)
Im März-/Aprilheft des Dachauer Stadtmagazins schreibt die
Stadt in einem zweiseitigen Artikel, die Forderung nach einem Wachstumsstopp
sei eine Illusion und begründet diese Behauptung mit folgenden Argumenten:
1. Auch
ohne Ausweisung neuer Baugebiete bestehe Baurecht für Wohnhäuser im Bestand für
„tausende Menschen“.
2. Die
Einwohnerzahl Dachaus steige momentan um 400 Einwohner pro Jahr, das ergäbe ein
Wachstum von 1 Prozent.
3. Die
„Metropolregion München“ erzeuge einen „enormen Siedlungsdruck auf den
Landkreis Dachau“. Die Stadtpolitik habe keine Macht, diesem Wachstum einen
Riegel vorzuschieben.
4. „Ein
unüberlegter Tritt auf die Wachstumsbremse“ würde Wohnraum verknappen, zu
weiterer Mietpreissteigerung führen und Bürger mit geringem Einkommen
benachteiligen.
5. Menschen
gingen dorthin, wo es Arbeit gibt, und die gäbe es in und um München.
Das Einwohnerwachstum und die Gründe dafür werden überhaupt
nicht in Frage gestellt. Der Thementisch UNE sieht das Einwohnerwachstum
Dachaus nicht als „höhere Gewalt“ und beleuchtet die genannten fünf Punkte der
Stadt etwas genauer.
Zu 1) Bestehendes
Baurecht
Es ist einfach, eine unsinnige Gegenposition aufzubauen, um
sie dann widerlegen zu können. Jeder, der auch nur geringe Ahnung von
kommunalem Baurecht hat, weiß, dass bestehendes Baurecht keine Deckelung des
Bauens von heute auf morgen zulässt. Die Forderung „Deckel auf den Topf
Dachau“, die SO überhaupt nicht gestellt worden ist, muss also gar nicht
diskutiert werden. Es ist völlig richtig, dass Dachau allein aufgrund
bestehenden Baurechts um einige tausend Einwohner wachsen wird, die Rede ist
von bis zu 7.000 (auf dann max. rund 51.000) – aber mehr auch nicht, und dann
auch nur um den Preis massiver Innenraumverdichtung.
Zu 2) Einprozentiges
Wachstum?
Anhand der genannten Zahlen ist Dachau von 1926 bis 1960 um
21.852 Einwohner (EW) gewachsen, das entspricht einem jährlichen Zuwachs von
643 EW. Von 1960 bis 2012 kamen 14.000 neue EW hinzu, das sind 270 EW pro Jahr.
Dachau hatte also bis 1960 ein sehr starkes Wachstum, verursacht vor allem
durch die Folgen des zweiten Weltkriegs. Das Wachstum der letzten 52 Jahre war
dagegen mäßig , in den letzten Jahren beschleunigte es sich aber auf die von
der Stadt genannten 400 EW pro Jahr. Dazu stellt die Stadt fest: „Die Dachauer
Bevölkerung wächst jährlich also um ein Prozent“. Würde Dachau von 43.000 EW
jedes Jahr um 400 EW wachsen, also linear, hätten wir im Jahr 2050 an die
58.200 EW. Im Gegensatz dazu würde uns ein einprozentiges, also ein
exponentielles Wachstum auf 62.760 EW bringen.
Soll das so weitergehen, ist das erwünscht? Dazu macht die
Stadt keine Aussagen, im Gegenteil, sie nimmt das offenbar als „gottgegeben“
hin. Aber will das auch die Dachauer Bevölkerung? Genau dazu sollte sie konkret
befragt werden.
Zu 3) Der
„Siedlungsdruck der Metropolregion München“
Jede Gemeinde, auch die Stadt Dachau, hat die Macht, neue
Baugebiete auszuweisen oder es bleiben zu lassen, das nennt man Planungshoheit.
Auch die Zeit spielt eine steuernde Rolle, man kann alle fünf Jahre ein
Neubaugebiet schaffen oder alle 20 Jahre. Jede Gemeinde bestimmt also selbst
ihr Wachstum. So verstehen wir auch den zitierten Sprecher auf der
SZ-Veranstaltung vom Januar: „Wenn Kommunalpolitiker behaupten, sie könnten
nichts dagegen tun, dass wir wachsen, stimmt das einfach nicht.“ Mit einer
Deckel-auf-den-Topf-Rhetorik hat das nichts zu tun.
Der „Siedlungsdruck der Metropolregion München“ ist
zweifellos vorhanden. Man kann aber darüber nachdenken, wie man damit umgeht
und ob er dauerhaft unabänderlich ist. Gibt man dem Siedlungsdruck
widerstandslos nach, baut man also weiterhin viele Wohnungen wie bisher, so
haben neben den neu Zuziehenden eher sehr Wenige davon Vorteile:
Grundstückseigner, Bauträger, Banken.
Die große Mehrheit der ortsansässigen DachauerInnen muss
hingegen die Nachteile schlucken: Dachau wird vollends zur Schlafstadt von
München, die Pendlerströme – morgens hinein in die Metropole, abends heraus –
wachsen, Verkehr und Verdichtung mindern die Lebensqualität, die Freiflächen
innerhalb und am Rand der bebauten Gebiete werden weniger. Das geht
zwangsläufig auch zu Lasten von Umwelt und Natur (was sich u.a. daran zeigt,
dass von der Rahmenplanung Grün-Blau bislang nur ein Bruchteil umgesetzt worden
ist). Das vom TT UNE seit sechs Jahren propagierte Leitbild von Dachau als der
einmaligen Stadt an den vielen Fließgewässern würde verloren gehen, Dachau gäbe
ein herausragendes Charakteristikum auf, dessen Bedeutung in der Stadtspitze
anscheinend immer noch gar nicht richtig angekommen ist.
Zu 4) Auswirkungen
auf den Wohnungsmarkt
Einen „unüberlegten Tritt auf die Wachstumsbremse“ will
sicher niemand; auch von der Dachauer Stadtpolitik soll man ausschließlich
überlegte Tritte oder Schritte einfordern. Zur Zeit haben wir aber den
Eindruck, dass das Dachauer Wachstum eher unreflektiert erfolgt und faktisch
maßgeblich den Interessen von Bauträgern dient, deren Geschäftspläne auf Bürger
mit geringem Einkommen naturgemäß keine Rücksicht nehmen. Bei Ausschöpfung des
bestehenden Baurechts wird es in den nächsten fünf bis zehn Jahren (rein
rechnerisch sogar bis nach 2025, die oben genannten EW-Zahlen unterstellt) erst
einmal nicht zu einer Verknappung des Wohnungsangebotes kommen, sondern zu
einer Vermehrung, ohne dass sich am „teuren Pflaster“ etwas ändern wird. Es ist
gut, wenn die Stadt selbst bezahlbare Wohnungen baut, aber das kann sie auch
bei qualitativ gebremstem Wachstum tun.
Zu 5) München und
sein Umland als Zuzugsgebiet
Die Region München bietet Arbeitsplätze, das ist der
Hauptgrund für Zuzug. Das Trommeln für die „Metropolregion München“ mit dem
Gesang von der „unvergleichlichen Infrastruktur“ dient einzig dazu, den Zuzug
noch zu verstärken. Das ist von Politik und Wirtschaft so gewollt, weil alle
glauben, davon profitieren zu können. So auch Dachau: Man will die „Vorteile
des Wachstums nutzen und die Nachteile möglichst
minimieren“. Dieses Füllwort möglichst
heißt, dass man die gewaltigen Nachteile gut kennt, aber leider, leider nichts
dagegen tun kann. Dachau will also in opportunistischer Weise Nutznießer eines
sehr fragwürdigen Wachstums sein.
München als die Stadt mit der höchsten Einwohnerdichte
Deutschlands (4286 EW/km2) hat so gut wie keine Flächen mehr für
Wohnungsbau. Also lässt man jeden Tag hunderttausende Menschen vom Schlafplatz
zum Arbeitsplatz und zurück pendeln. Das ist weder vernünftig noch nachhaltig,
sondern nur einfallslos. Es ist auch nicht nachhaltig, die „Metropolregion
München“ auf Kosten Nordbayerns oder der östlichen Bundesländer aufzublähen. Es
leuchtet zwar ein, dass der Dachauer Stadtrat gegen „dieses strukturelle
Missverhältnis“ nicht direkt etwas tun kann, aber Landes- und Bundespolitik
könnten sehr wohl etwas gegen diese Zentralisierungstendenz tun. Wenn die
Basis, also die Kommunen, gegen die strukturellen Fehlentscheidungen der Länder
und des Bundes Sturm liefen, gäbe es kein Ausbluten ganzer Landstriche. Hier
fehlt es ganz eindeutig am politischen Willen, auch gerade in den Kommunen. An
Werte wie Gerechtigkeit oder Solidarität soll man wohl gar nicht erst denken?
Die weiteren Ausführungen des von der Stadt geschriebenen
Artikels, z.B. über die „Vorteile innerstädtischen Wohnens“, haben mit dem
Thema Wachstum nichts zu tun. Für uns schließt sich die Frage an, wie es mit
den Vorteilen innerstädtischer Arbeitsplätze steht? Wir finden den Vorschlag
von Bauamtsleiter Simon, das Zentrum Dachaus als Mischgebiet auszuweisen, sehr
interessant. Denn wer in Dachau wohnen und arbeiten kann, muss nicht pendeln.
Mit Befriedigung nehmen wir zur Kenntnis, dass sich die
Stadt im Jahr 2012 Gedanken macht, wie man auch ohne Auto zur S-Bahn, in ein
Konzert oder in eine Gaststätte kommt. Diese Überlegungen gab es in Dachau
schon Anfang der neunziger Jahre von der „Aktion Verkehrswende“.
Fazit
Für OB Bürgel muss sich „politisches Handeln immer an der
Realität orientieren“ und es „muss vernünftig sein“. Das ist nicht falsch, aber
sehr kurz gegriffen. Politisches Handeln sollte vor allem Verbesserungen für
die große Mehrheit der Bürger bewirken und es sollte den Blick über den
Tellerrand einbeziehen. Unter Berücksichtigung solcher Kriterien finden wir es
unangebracht, wenn die Stadt alle Wachstumskritik als Illusion oder unüberlegte
Realitätsverweigerung abtut. Der Artikel im Stadtmagazin blendet alle negativen
Folgen unverminderten Wachstums aus und stellt das Wachstum der „Metropolregion
München“ als ein Ereignis höherer Mächte dar, wogegen man nichts tun
könne. Wir haben aufgezeigt, dass das
nicht stimmt.
Die BürgerInnen
Dachaus sollten jetzt und direkt zum Thema Wachstum das Wort bekommen. Eine
entsprechende Frage könnte etwa lauten: „Sind Sie dafür, dass unsere Stadt über
die Ausnutzung schon bestehenden Baurechts hinaus weiter wachsen soll?“ Dem
nächsten Stadtmagazin könnte eine Antwortpostkarte (mit alternativer Antwortmöglichkeit per
Email) beigelegt werden. Verbunden werden könnte diese Zentralfrage mit einem
Leerfeld für weitere Anregungen. Alleine diese Antwort würde dem Stadtrat sowie
der Stadtverwaltung mit dem OB an der Spitze wertvolle Hinweise derer liefern,
auf deren Rücken andernfalls stadtplanerische Fehlentscheidungen abgeladen
würden.
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