Susanna Tausendfreund MdL
innenpolitische Sprecherin der
GRÜNEN im Bayerischen
Landtag
stv. Landrätin des Landkreises München
|
Laudatio von Susanna Tausendfreund, MdL-GRÜNE, für den
Journalisten Helge Cramer zur Verleihung des Hermann-Ehrlich-Preises am
3.10.2012
Anrede
Nachdem wir heute zur erstmaligen Verleihung des Preises
zusammen gekommen sind, wird deutlich, welche besondere Stellung der
Preisträger Helge Cramer für die Familie des verstorbenen Hermann Ehrlich und
das Bündnis für Dachau hat.
Wenn wir uns das Anforderungsprofil des
Hermann-Ehrlich-Preises ansehen, wird nicht gleich offenbar, aus welchen
Gründen die Jury ihn ausgewählt hat. Bewusste Bürgerschaft, Zivilcourage,
kulturelles und soziales Engagement, diese Kriterien kann Helge Cramer
natürlich bestens erfüllen. Hinzu kommt die journalistische Hartnäckigkeit, die
- ohne Rücksicht auf die eigene Karriere - zu kritischen Fernsehbeiträgen
geführt hat, die entweder die Obrigkeit gegen ihn aufgebracht haben oder die
teilweise gekürzt oder gar nicht gesendet wurden.
Moderator Dr. Jürgen Zarusky und Preisträger Helge Cramer |
Wer die Recherchen und die Dreharbeiten des Preisträgers zum
Wahlfälschungsskandal bei den Kommunalwahlen 2002 hier in Dachau nicht
mitbekommen hat, kann diesen lokalen Bezug auch nicht herstellen, denn die
fertig gestellte Reportage für das Magazin Monitor wurde nie gesendet. Viele
von Ihnen haben gespannt darauf gewartet, aber die Ausstrahlung wurde aus
unterschiedlichen Gründen zweimal abgesetzt.
Die Recherchearbeit für den Fernsehbeitrag - Interviews auf
der Straße, Drehs in Stadtratssitzungen, kritische Nachfragen bei den
Verantwortlichen - war dennoch ein wichtiger Bestandteil der mühsamen
Aufklärungsarbeit eines bis dato unvorstellbaren Wahlbetrugs - ganz im Sinne
des Einsatzes von Hermann Ehrlich.
In der Vorbereitung auf den heutigen Tag sind viele Bilder
von damals bei mir wieder präsent geworden:
- „3.500 Wahlscheine für die Briefwahl mit den
eidesstattlichen Versicherungen nicht mehr aufzufinden“
- „404 Stimmzettel und 5 Wahlscheine zur Briefwahl im
Altpapier gefunden“
- „370 Stimmzettel von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt weil
weitgehend identische Merkmale“
Das waren die ersten Meldungen.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass diejenigen, die das
natürlichste der Welt erreichen wollten - nämlich die lückenlose Aufklärung des
Betrugs und der Fälschungen bei der Wahl zugunsten der Kandidaten der CSU -
sehr schnell als Nestbeschmutzer galten.
Die überörtliche, die bayernweite, die deutschlandweite
Debatte über die Wahlmanipulationen hat dann den notwendigen Anschub für die
Einsicht gefördert, dass es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelte sondern
um gravierende Straftaten und um einen handfesten Skandal.
Am 22. September 2002 fanden die Nachwahlen zum Dachauer
Kreistag und Stadtrat statt. Am 16. Februar 2003 wurde auch die Stichwahl des
Oberbürgermeisters wiederholt. Für diese Wahlen hatte mich das Bündnis für
Dachau als unabhängige Wahlbeobachterin gewonnen. Wahlbeobachter beizuziehen,
war damals ein starkes Zeichen, dass derartige Betrügereinen nie mehr vorkommen
dürfen.
Wolfgang Aechtner und Georgios Trifinopoulos wurden wegen
vielfacher Wahlfälschung zu Bewährungsstrafen verurteilt und mussten Schadenerstatz
für die Kosten der nun nötigen neuen Wahlen leisten, was bis heute allerdings
nicht geschehen ist.
Im Landtag habe ich mich vor zehn Jahren bei diesem Thema
sehr engagiert. Wir GRÜNE verlangten Aufklärung und eine schnellstmögliche
Nach- bzw. Neuwahl. Viele Debatten im Landtagsplenum und in den Ausschüssen
drehten sich um den Wahlskandal. Es fielen markige Worte und es wurden von der
Opposition Vergleiche mit Wahlen in Staaten gezogen, in denen Demokratie noch
ein Fremdwort war.
Auch einen Gesetzentwurf hatte ich auf den Weg gebracht, mit
dem insbesondere die Manipulationsmöglichkeiten bei der Briefwahl zukünftig
hätten eingedämmt werden können. Dieser Gesetzentwurf wurde zwar abgelehnt, die
Vorschläge aber etwas später trotzdem zum Teil umgesetzt.
Die Ausstrahlung des Monitorbeitrages von Helge Cramer wäre
damals sehr hilfreich gewesen - und für diejenigen, die den Skandal herunter
spielen wollten, sehr lehrreich.
Damit dürfte nun geklärt sein, dass Herr Cramer - unser
heutiger Preisträger - auch das Kriterium des lokalen Bezugs voll und ganz
erfüllt!
Nun zu seinem sonstigen, sehr beeindruckenden Wirken, mit
dem er die übrigen Voraussetzungen mehr als ausfüllt.
Ich kann allerdings nur einige Schlaglichter setzen:
Als 22-jährigen verschlug es ihn 1968 nach Bayern - und die
68er-Zeit war in Bayern wahrscheinlich etwas anders, als die 68er-Zeit in
Berlin oder in Paris.
Helge Cramer arbeitete zunächst bei der Nürnberger
Abendzeitung und konnte dort seiner Leidenschaft für die Berichterstattung über
Natur, Landschaft und Umwelt nachkommen - diese Berichte enthielten natürlich
immer seine spezifische kritische Note, wie beispielsweise seine Artikel über
den schwindenden Lebensraum für den Uhu.
Mit der Filmerei - in die Helge Cramer 1975 beim BR mit
Magazinstücken für das Lokalfernsehen eingestiegen ist - kamen auch die
Konflikte.
Er berichtete für die ARD über folgenden Fall: Im August
1976 hatten zwei Priester im Auftrag des Würzburger Bischofs versucht, einer 23jährigen
den Teufel auszutreiben; die Pädagogik-Studentin Anneliese Michel aus
Klingenberg am Main litt an Epilepsie und fand bei der brutalen Prozedur den
Tod.
Die kirchenamtliche Beteiligung für den bischöflichen
Auftrag zur Teufelsaustreibung wurde damals auf Anweisung des BR-Chefredakteurs
Rudolf Mühlfenzel aus Cramers Reportage „Tod durch Teufelsaustreibung“ herausgeschnitten.
Dies hat den Filmemacher nicht davon abgehalten -
wahrscheinlich sogar angespornt -, den Stoff aktuell aufzuarbeiten und den
Dokumentarfilm „Teufels Werk und Gottes Beitrag“ herauszubringen.
Mit seinem Film über die Massenverhaftung von Jugendlichen
im Nürnberger KOMM traf Helge Cramer den Nerv der Regierenden in Bayern.
Einige von Ihnen - meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde - werden sich sicher noch an den März 1981 erinnern. Nach einer
Spontandemonstration, bei der Schaufensterscheiben zu Bruch gingen, nahm die
Polizei alle Besucher des Jugendzentrums KOMM in einer völlig überzogenen
Aktion fest, anstatt sich auf die wenigen Randalierer zu konzentrieren. Mit
dieser Polizeimaßnahme wurde das ungeliebte, selbstverwaltete KOMM in die Ecke
einer linksextremistischen Gewaltschmiede gestellt und völlig harmlose Jugendliche
kriminalisiert und schikaniert.
Es ergingen 141 gleichlautende, kopierte Haftbefehle. Der
Vorwurf: Landfriedensbruch. Die Untersuchungshaft wurde mit Flucht- und
Verdunklungsgefahr begründet. Erst nach Tagen erfuhren viele Eltern, wo ihre
Kinder waren. Einige der Inhaftierten kamen erst nach zwei Wochen frei.
Der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß sah in den
KOMM-Aktivisten und der Hausbesetzerszene »den Kern neuer terroristischer
Aktionen«.
Es folgte eine Protestwelle, der sich viele Jugendliche im
ganzen Land anschlossen. Für mich - damals knappe 18 Jahre alt - waren diese
Ereignisse ein wichtiger Anstoß, mich politisch zu engagieren.
Helge Cramer deckte bei seinen Recherchen auf, dass die
Polizei sehr wohl die Möglichkeit gehabt hätte, gezielt die eigentlichen
Straftäter (oder waren es Provokateure?) zu verhaften. Dies wurde von den
damaligen Innen- und Justizministern Tandler und Hillermeier natürlich ganz
anders dargestellt, auch gegenüber dem Landtag. Helge Cramers Fazit in seinem
Film: „regierungsamtliche Lügen“ !
Der Karriereknick, den er durch sein Engagement in der
KOMM-Affäre erlitt, hat den Preisträger nicht davon abgehalten, weitere
brisante Themen zu bearbeiten.
Für Monitor erstellte er 1986 eindrucksvolle
Wackersdorfberichte, bei denen es sich inzwischen um Dokumente der
Zeitgeschichte handelt.
Ein umfassendes Bild liefert der Dokumentarfilm „WAAhnsinn -
Der Wackersdorffilm“:
- Bürgerkriegsähnliche Zustände im Taxöldener Forst,
- polizeistaatliche Mittel, um das WAA-Projekt gegen alle
Widerstände der Bevölkerung durchzusetzen,
- Durchsuchungen von Scheunen der Bauern wegen angeblicher
Waffenfunde - damit sollte die Bevölkerung wohl davon abgeschreckt werden,
Demonstrierende bei sich übernachten zu lassen,
- Einsatz von verdeckten Ermittlern - Polizeispitzeln - bei
der Versammlung einer Bürgerinitiative - dies stieß auf erhebliche Empörung,
- großangelegte Verhaftungsaktionen ohne Haftbefehle,
- Die Einführung des sog. verwaltungsrechtlichen
Selbsteintrittsrechts, damit der aufmüpfige Schwandorfer Landrat Schuirer
mundtot gemacht werden konnte. Er wollte die wasserrechtliche Genehmigung für
die WAA nicht erteilen, da er richtiger Weise rechtliche Bedenken hatte. Mit
diesem gesetzgeberischen Handstreich konnte sich die Bayerische Staatsregierung
über Schuirer hinweg setzen!
Derartige Berichte liebte die Strauß-Regierung natürlich nicht
und der Preisträger fiel weiter in Ungnade. Nach dem Monitorstück vom April
1986 trat denn auch BR-Intendant Reinhold Vöth in Aktion. Danach war es für
Herrn Cramer noch schwieriger, seiner journalistischen Passion nachzukommen.
Bei der WAA gibt es wieder persönliche Überschneidungspunkt:
Ich war damals sehr häufig in Wackersdorf.
- Zunächst bei den Waldspaziergängen,
- dann im Hüttendorf - auch bei der spektakulären Räumung
durch Polizei war ich im Kessel,
- später bei den Auseinandersetzungen am Bauzaun -
allerdings habe ich diese aus sicherer Entfernung beobachtet,
- bei den vielen Demonstrationen
- und auch bei dem großen WAA-Rockfestival, das einen Touch
von Woodstock hatte und über das Helge Cramer ebenfalls einen Film erstellte.
Darüber hinaus hat sich Helge Cramer der Jugendförderung
verschrieben. Mit dem Jugendfilmprojekt „Gräfenberg wehrt sich gegen Neonazis“,
das mit Unterstützung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen 2008 realisiert
werden konnte, hat der Preisträger durchaus Maßstäbe gesetzt und gezeigt, dass
politische Bildung und der Einsatz gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Intoleranz nicht früh genug anfangen kann.
Helge Cramer versteht es bei seinen Fernsehberichten und
Dokumentarfilmen, die Momentaufnahmen und Hintergrundinformationen zu einem
realistischen, kritischen und keinesfalls übertriebenen Bild zusammenzufügen.
Er versteht es auch, sich politischer Einflussnahmen oder
einem Glattbügeln von Beiträgen zu erwehren.
Dies spiegelt sich auch im nicht ausgestrahlten Bericht über
den Dachauer Wahlbetrug wider.
Bevor Helge Cramer sich Vorgaben untergeordnet hätte, gründete
er lieber eine eigene, unabhängige Filmproduktion.
Diesen selbst gesetzten Maximen ist der Preisträger immer
treu geblieben.
Sehr geehrte Mitglieder der Jury: Sie haben eine sehr gute
Wahl getroffen!
Lieber Helge Cramer: Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung
des Hermann-Ehrlich-Preises!
In meinen Augen eine sehr wichtige & essentielle Einrichtung, nicht nur für das zukünftige Zusammenleben der Menschen in der Stadt Dachau...
AntwortenLöschenEin großes Lob, Kompliment & meinen Respekt an die Menschen, welche sich aufrecht engagieren, DANKE!